VIELFACHE VEREINFÄLTIGUNG*

Als Hans Bagehorn am 17. Mai 2018 nach kurzer schwerer Krankheit verstarb, hatte er sein 66. Lebensjahr vollendet. Er, der stets ein interessanter Gesprächspartner war, hätte uns sicher noch einiges zu sagen gehabt: mit seinen ruhigen Worten, mit Foto-grafien, vor allem aber mit weiteren Bildfindungen. Ja, Findungen. Hans Bagehorn hat die Welt nicht abgemalt oder vor der Natur gezeichnet. Er ist vielmehr in ihr Innerstes vorgedrungen; hat Formeln, Rhythmen und Abfolgen in Bilder umgewandelt, die eine eigene poetische Weltbeschreibung darstellen. Im letzten Jahrzehnt seines Wirkens hat der Leipziger Künstler diese vor allem im Siebdruck umgesetzt. Die Entwürfe dafür schuf er im Bereich der digitalen Kunst. Hier zeigte sich eine besondere Doppelbegabung Hans Bagehorns: Zum einen beherrschte er verschiedene klassische Techniken wie etwa Siebdruck, Linolschnitt, Acrylmalerei, Pastell oder Collage. Zum anderen ging er aber technisch mit der Zeit und eroberte sich mit der Anwendung verschiedenster Computerprogramme neue Möglichkeiten der Bildfindung. Es interessierte ihn, traditionsreiche Verfahren modern zu nutzen. Begonnen hat er klassisch. Er absolvierte ein Studium an der Hochschule für industrielle Formgestaltung – heute Hochschule für Kunst und Design – Burg Giebichenstein in Halle. Seine Studienfächer waren Malerei sowie Metall- und Emailgestaltung. Bei Frau Professor Irmtraud Ohme erlangte er, wie nur wenige neben ihm, ein Diplom in Emailgestaltung. Irmtraud Ohme hatte als metallgestaltende Künstlerin und Dozentin in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Stimme. Sie unterstützte Hans Bagehorn in seiner Bildwelterfindung, die schon früh sowohl abstrakt wie auch figurativ erschien. Mit dem Abschluss des Studiums begann er freischaffend zu arbeiten. In den darauf folgenden vierzig Jahren präsentierten viele Ausstellungen, unter anderem in Halle, Leipzig, Berlin, Magdeburg, Bremen, München, Ingolstadt, Hannover, Gießen, Chemnitz, Braunschweig, Karlsruhe aber auch Paris Werke des Künstlers in Personal- und Gruppenausstellungen. Neben der eigenen Kunstproduktion übernahm Hans Bagehorn weitere Verantwortung. Im Privaten für seine Kinder. Im beruflichen engagierte er sich zudem in besonderer Weise für die Präsentation von Kunst der Gegenwart: So übernahm er von 2003 bis 2012 die Leitung der Projektgalerie VorOrtOst des Bundes bildender Künstler Leipzig e.V., die er sowohl vorgedacht wie dann auch ins Leben gebracht hatte. Unter seiner Verantwortung wurden auf die Zahl genau 100 Ausstellungen durchgeführt. Des Weiteren gehörte er zu den Vordenkern, Gründern, dann Redakteuren und Gestaltern des Kulturmagazins KUNSTSTOFF, welches in 24 Ausgaben zwischen 2005 und 2011 Themen zu Theater, Literatur, Bildender Kunst, Musik und Film im mitteldeutschen Raum vorstellte.

Neben den frühen Emailbildern wandte sich der Künstler bald Metallarbeiten zu, wobei ihm insbesondere Aluminiumätzungen zum überzeugenden künstlerischen Ausdrucksmittel wurden. Die Kompositionen waren bestimmt von malerischen Momenten und figurativen Assoziationen die mit konstruktiven Elementen verbunden wurden. Auf die Metallfarbe reagierte Hans Bagehorn mit sparsamen eigenen Farbsetzungen. Seit Mitte der neunziger Jahre ging die Auseinandersetzung mit dem Metall zurück, nicht zuletzt bedingt durch die hohen finanziellen Vorleistungen, welche der Künstler für derartige Projekte leisten musste. Zudem löste sich die seit 1980 geführte Ateliergemeinschaft in Vitzenburg auf, die bis dahin dafür beste räumliche Voraussetzungen bot. Der sich anschließende künstlerische Weg führte Hans Bagehorn von großformatigen Collagen, Pastellmalereien und Computerarbeiten – seinen Pixelmelangen – zu Acrylbildern und Siebdrucken, in denen seine Bildfindungen aufgingen. Die Themen waren stets assoziative Gestaltungen in strukturellen, geometrischen und auch organischen Formungen, deren Grundlagen zunehmend am Computer bearbeitet waren. Wenn Hans Bagehorn dafür Vorlagen nutzte, dann waren dies oft eigene Fotografien, seltener Bilder, die er im großen Raum des World Wide Web entdeckte. Die Bearbeitung der Vorlagen dauerte oft lange und führt über viele Schritte zu neuen Aufstellungen, Strukturierungen und Ausdrücken. Waren die Vorlagen keine fotografischen Bilder, dann entstanden die Kunstwerke komplett am Computer. Von A bis Q sozusagen. Denn die Umsetzung im Siebdruck – bei Hans Bagehorn nicht weniger als ein Vier-, manchmal sogar als Siebenfarbdruck – gehörte zwingend in die künstlerische Realisation hinein und war die gekonnte Vollendung – von R bis Z – sozusagen.

Zu seinen Bildlösungen am Computer kam der Leipziger Künstler über bestimmte Programme. Darin erstellte er Werke, deren Grundlagen neben Fotografien Fraktale waren. Um sie zu verstehen, muss ein Blick in die Mathematik genommen werden. Der Begriff wird da für bestimmte natürliche oder künstliche Gebilde sowie geometrische Muster angewandt. Diese besitzen im Allgemeinen keinen ganzzahligen Wert sondern eine gebrochene Dimension. Daher auch der Name. Fraktale weisen einen hohen Grad von Selbstähnlichkeit auf. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Objekt aus mehreren verkleinerten Kopien seiner selbst besteht. Man kann bestimmte Stücke sozusagen abbrechen, in denen die komplette Information über die Gesamtfigur enthalten ist. Schon 1978 haben Mathematiker die Generierung von Fraktalen am Computer erdacht, indem sie eine Kette von Zahlen und mathematischen Operationen immer wieder mit sich selbst rückkoppelten. Das erste Ergebnis wird dabei als neuer Anfangswert aufgefasst und wieder in die Schleife eingegeben. Und so fort. Die wechselnde Größe dieses »immer wieder Anfangswertes« wird beobachtet und in grafischer Form ausgewertet. Genau diese Methode nutzte Hans Bagehorn. Der Computer und seine Programme waren ihm Kompositions- und Gestaltungsmittel. Der Künstler ordnete sich aber nicht der Technik unter. Ganz autonom entschied er, wann eine Bildgestalt für ihn gültig war und in welche Richtung er weiterarbeitete. Im Ergebnis stellt er uns Bilder vor, die ein ganz zeitgemäßer Ausdruck für ein Rendezvous von Natur, Mathematik und Kunst sind.

Christine Dorothea Hölzig  ǀ  Kunsthistorikerin

*Bildtitel von Hans Bagehorn aus dem Jahr 1984